Die gesamte Zeit von der Erschaffung der Welt bis zu ihrem Untergang
findet sich in der Symbolik des Jahreskreises. Die Germanen dachten damals, daß
die Natur stürbe. Deshalb wurde den Ahnen, Göttern und der Toten gedacht, indem
man Opfer darbrachte. Die Germanen schmückten die Gräber mit Getreide, Nüssen
und anderen Dingen. Es wurden aber, entgegen aller Behauptungen, keine
Menschenopfer dargebracht.
In dieser Symbolik steht der Winter für die Zeit der Götterdämmerung
(Ragnarök), den Untergang des Lebens. Die Eisriesen (Jöten und Thursen) stürmen
Asgard. Odins in der Schlacht gefallenen Krieger (die Einherier) in Walhalla
wurden gerufen, um in der bevorstehenden Götterdämmerung auf Seiten der Götter
zu kämpfen. Die Götter fallen in diesem letzten Kampf, aber nicht ohne die
Hoffnung auf ihre Wiederkehr zu hinterlassen.
Der Lichtgott Balder oder Baldur (die Sonne) vollendet seinen Abstieg ins
Totenreich beim Julfest (21. Dezember) und mit dem neuen Impuls der Schöpfung
beginnt der Kreislauf von neuem, wenn zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende sein
Wiederaufstieg zu Asgards Höhen seinen Anfang nimmt. Samhain, das Fest der
Winternacht, stimmt auf diese bedeutende Zeit des Wandels und der Läuterung
ein. Es dauert eigentlich drei Tage. An diesem Fest wird der Ahnen der Sippe
gedacht.
Samhain ist neben Imbolc auch das zweite Disenopfer (altnordisch: Dísablót) des
Jahres. Die Frage, was Disen sind, läßt sich nicht eindeutig klären. Zum einen
könnten die Disen eine Gruppen von weiblichen Gottheiten sein, die nicht näher
in der Mythologie benannt werden. Damit stehen sie in der Nähe anderer
bekannter Gottheiten wie z.B. Frigg, Freyja oder Perchta (Berchta, Frau Holle,
Hel) usw. oder sind mit ihnen identisch.
Zum anderen aber deutet einiges darauf hin, daß "Dis" einfach eine
Bezeichnung für "Frau" war, denn viele germanische Frauennamen enden
auf "dis" (z.B. Freydis, Hjordis usw.). Freyja wird beispielsweise
auch als Vana-Dis, also Vanenfrau (Freyja stammt aus dem Göttergeschlecht der
Vanen, im Gegensatz zu den Asen) bezeichnet. Vielleicht war der Begriff aber
auch für Frauen vorbehalten, denen man übernatürliche Fähigkeiten zusprach. So
würde sich die Interpretation Frauenopfer anbieten, wobei damit natürlich ein
Opfer von den Frauen gemeint ist und nicht etwa, daß die Frauen geopfert
würden.
Begonnen wurde das Fest mit der Entzündung des Totenfeuers auf einem Hügel.
Danach fand eine feierliche Anrufung Odins (Wotan) und Heimdalls statt. Die
Wotansgans wurde geopfert, und aus dem Brustbeinknochen des Tieres der Verlauf
des Winters gedeutet. Im Totenfeuer wurde eine Strohpuppe verbrannt.
Am Feuer wurde dann das gemeinsame Trinken (altnordisch: Drekka), die
Wotansminne, begangen, bei dem sich Trinkwünsche zugerufen wurden. Bei den
Germanen war "Minne" aber im Sinne von Gedenken zu verstehen, nicht
als Liebeswerben wie im Mittelalter. Überliefert sind das Antrinken von
Schönheit, Stärke, Segen für den Winter, Heirat und Kindersegen. Anschließend
wurde in ein Horn geblasen, welches Heimdalls Horn (die Mondsichel)
symbolisierte, um die Toten zu sammeln, so wie Odin die Einherier rief.
Danach wurde in einem Fackelumzug mit viel Lärm und Getöse, Peitschenknallen
und Geklapper die Wilde Jagd nachgestellt. Die Leute trugen früher Laternen aus
ausgehöhlten Futterrüben (für die Sonne und den Mond) mit sich. Die
Umherziehenden waren mit Schellen behängt, gehörnt und rußbeschmiert. Man zog
zu den Gräbern der Ahnen und opferte dort Getreide, Mehl, Butter, Eier und
Wachs. Man überschüttete die Gräber mit Korn.
Nach der Rückkehr fand ein ausgedehntes Mahl statt, bei dem ein Gedeck und drei
Messer mit aufgetragen wurden, die aber keiner der Gäste benutzte. Ein Teil der
Speisen und Getränke wurden für die Ahnen an diesem leeren Platz aufgetragen
und dort stehengelassen. Im Haushalt opferte man den Disen, indem man Brot und
Fett während des Festes und der Nacht in der Stube stehenließ.